An Weihnachten gehen auch noch jene Menschen in die Kirche, die eigentlich schon längst mit der Institution abgeschlossen haben. Aber «Stille Nacht» klingt schön – und Tradition ist es ja doch auch noch. Aber worüber soll der Priester oder die Pfarrerin predigen?
Den mahnenden Zeigefinger heben, Konsumorgien zum Fest kritisieren? Oder leicht-verdaulich vom Jesuskind im Stall und den Engeln schwärmen? Einen Werbeblock einfügen, wie viel Gutes die Kirche doch tut und man auch mal abseits von Weihnachten vorbeischauen soll? Gesellschaftliche und politische Themen aufgreifen?
Predigen an Weihnachten sei besonders schön, sagt der evangelische Landesbischof Christian Kopp, «weil die Weihnachtsgeschichte so zu Herzen geht. Sie erzählt von den zentralen Werten des Menschseins: Von der Freundlichkeit und der Freude und vom Frieden, nach dem sich alle sehnen.» Die Vorbereitungen begännen schon zu Beginn der Adventszeit, sagte Kopp. Manches entstehe jedoch auch kurzfristig.
Für die Ausarbeitung braucht es «Weihnachtsstimmung»
Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl sagt, Weihnachten sei immer eine Herausforderung, «weil die Botschaft so bekannt ist». Ideen aus Begegnungen oder beim Lesen halte er fest. Für die Ausarbeitung der Predigt brauche er aber dann «Weihnachtsstimmung. Das geht erst kurz vor dem Fest.»
Und worum soll es konkret gehen an Weihnachten? Nachfrage beim katholischen Nürnberger Stadtdekan Andreas Lurz: «Ich möchte nicht hochtheologisch, nicht abgehoben und vergeistigt predigen. Es soll mit den Menschen zu tun haben. Das ist mein Anspruch als Prediger.»
Nicht für «fromme Spezialisten»
Lurz frage sich, was die Menschen derzeit bewege und welche Sorgen und Ängste sie mit sich trügen. Sein Anspruch sei es, «über etwas zu predigen, das Hoffnung geben soll. Das ist in der Schrift begründet: Die Weihnachtsgeschichte zeigt keine heile Welt. Die Szene zeigt Bedürftigkeit, doch daraus wird dann etwas Wunderbares. Diesen Gedanken möchte ich mitgeben.»
Er wolle «Anknüpfungspunkte schaffen», sagt Lurz, richte sich an keine «frommen Spezialisten», sondern an ein «heterogenes Publikum». Auch die Weihnachtsgeschichte bringe unterschiedliche Menschen zusammen – etwa Hirten und die Weisen aus dem Morgenland.
Relevanz fürs Leben haben
Weihnachten sei eine Besonderheit, weil viele Menschen in den Gottesdienst kämen, die sonst kaum Kontakt zur Kirche hätten, sagt die evangelische Pfarrerin Romina Englert vom Gottesdienst-Institut Nürnberg. Sie ist dort unter anderem als Predigtcoachin tätig. Der Druck auf die Predigenden sei dann größer als an anderen Sonntagen, an denen man die Menschen besser kenne. «Die Predigt soll eine Relevanz für das Leben der Menschen haben.»
Das sei der Anspruch als Kirche: «Wir wollen an Weihnachten relevante Dinge für die Menschen sagen und die gute Botschaft so formulieren, dass sie sich mit dem Alltag der Menschen verbindet.»
Weihnachten also als eine Art Werbefenster für die Kirche? Ja, findet Englert. «Es ist eine sehr große Chance für uns, an Weihnachten viele Menschen zu erreichen. Menschen erwarten an diesem Tag etwas von Kirche, sonst würden sie gar nicht kommen.»
«Der Druck auf dem Fest ist sehr hoch»
Wichtig sei zudem die Gesamtgestaltung des Gottesdienstes. Er werde als besonders berührend empfunden, wenn es einen roten Faden gebe. In der Ausbildung werde deshalb genau angeschaut: «Wie schaffe ich einen Raum, dass Menschen ankommen können? Und gerade an Weihnachten ist das besonders wichtig, weil gesamtgesellschaftlich der Druck sehr hoch ist, der auf diesem Fest liegt. Und dann geht es darum, in einem Gottesdienst eine Atmosphäre zu schaffen, wo Raum ist, diesen Druck loszuwerden. Ein Raum, wo man einfach ankommen kann, so wie man ist.»
Dazu zählten der Kirchenraum, die Musik und die Atmosphäre. «Dass es nicht bitterkalt ist, dass man gut sitzen kann, dass man gut verstehen kann, was vor allem für ältere Menschen wichtig ist. All das zusammen kann dazu führen, dass die Menschen sagen: Das tut mir gut an diesem Festtag.» Das liege nicht nur an der Predigt, sondern an der Gesamtgestaltung, sagt Englert.
Rituale auch wichtig
Für viele Menschen seien auch Rituale wie die Austeilung des Friedenslichts von Bethlehem wichtig. Oft hätten sie Tränen in den Augen, wenn sie es entgegennehmen, hat Englert beobachtet: «Weil sie sich eben so sehr Frieden wünschen in ihrem Leben und in der Welt.» Solche Symbolhandlungen könnten helfen, dass Menschen mit ihren Bedürfnissen und Sehnsüchten ankommen können.
Was gepredigt wird, hängt laut Englert auch davon ab, um welchen Rahmen es geht: Beim Krippenspiel am Heiligabend etwa herrsche gar keine Erwartung, sich zu aktuellen Themen zu äußern. «Da geht es einfach darum: Wir feiern zusammen diese alte Tradition, die aber trotzdem für unser Leben etwas aussagt. Das muss ich aber nicht in einer langen Predigt machen, sondern vielleicht in einem kurzen Impuls.»
Keine «zweite Nachrichtensendung»
Anders sei es bei der Christvesper, bei der eine längere Predigt vorgesehen sei. «Und da finde ich, ist es schon auch Aufgabe der Kirche, aktuelle Themen anzusprechen, wenn sie sich vom Evangelium, also von der Botschaft von Weihnachten her anbieten», sagt Englert. Beispiele seien Frieden und Armut.
Zugleich mahnt die Expertin auch zur Vorsicht: «Was eine Gefahr ist, dass wir wie eine zweite Nachrichtensendung irgendetwas einspielen und wiedergeben. Das ist, glaube ich, etwas, das sich die Menschen nicht wünschen an Weihnachten: die Probleme einfach noch mal zu hören, ohne dass Weihnachten eine neue Perspektive darauf eröffnet.»
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