Bei den Novemberpogromen 1938 verwüsteten Nationalsozialisten die Synagoge Reichenbachstraße in München – fast 87 Jahre später ist das im Bauhausstil errichtete Gotteshaus nun nach originalen Plänen von 1931 restauriert worden. «Die Reichenbachschul ist auferstanden. Sie hat Überlebenswillen bewiesen. Eine der wahrhaft schönsten Synagogen der Moderne ist gerettet», sagte die Initiatorin des Projekts, Rachel Salamander, bei der Wiedereröffnung mit mehr als 400 Gästen, darunter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Merz kämpft mit Tränen
Merz zeigte sich in seiner Rede sehr gerührt und schien sogar mit Tränen zu kämpfen. Während er an die unmenschlichen Verbrechen der Nationalsozialisten an Juden erinnerte, wurde seine Stimme brüchig.
Er sei entsetzt darüber, dass Antisemitismus in Deutschland wieder aufgeflammt sei. «Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr mich das beschämt: als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, aber auch als Deutscher, als Kind der Nachkriegsgeneration, als Kind, das aufgewachsen ist mit dem "Nie wieder" als Auftrag, als Pflicht, als Versprechen», sagte Merz.
Zu lange «Augen verschlossen»
Er wünsche sich, «dass jüdisches Leben in Deutschland eines Tages wieder ohne Polizeischutz auskommt. Wir dürfen uns daran nicht gewöhnen, dass dies nun schon seit Jahrzehnten offenbar notwendig ist», sagte Merz und betonte: «Wir haben in Politik und Gesellschaft zu lange die Augen davor verschlossen, dass von den Menschen, die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, ein beachtlicher Teil in Herkunftsländern
sozialisiert wurde, in denen Antisemitismus geradezu Staatsdoktrin ist, Israelhass schon Kindern vermittelt wird.»
Söder kritisiert frecheren Antisemitismus
Auch Söder verurteilte einen immer «frecheren», radikaleren und offeneren Antisemitismus. Das sei gerade in der linken Kulturszene zu spüren, die eigentlich für sich in Anspruch nehme, für Freiheit und Toleranz zu sein. Das sei erschreckend.
Kritik am Staat Israel nannte Söder zulässig, diese werde auch im Land selbst geübt, zum Teil heftig. Aber es sei die einzige Demokratie im Nahen Osten, mit der man Werte wie Freiheit teile und die Partner für die westliche Welt bleiben müsse. Mit Blick auf den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 warnte Söder davor, zu vergessen, wer angegriffen worden sei. Israel werde rundum bedroht und es sei beeindruckend, wie sich das Land zur Wehr setzen konnte.
Gleichzeitig sei man besorgt um die humanitäre Situation im Gaza-Streifen, so Söder. Er sei aber sicher: Wenn die Hamas ihre Waffen abgebe und die Geiseln freilasse, sei morgen Frieden. Wenn Israel seine Waffen abgebe, drohe das nächste Massaker.
Synagoge der Neuen Sachlichkeit
Die Synagoge war 1931 eröffnet worden, in einer Zeit eines wachsenden Antisemitismus. Entworfen hatte sie der Architekt Gustav Meyerstein im Stil der Neuen Sachlichkeit, mit minimalistischer Ausstattung und klaren Formen. Bei den Novemberpogromen von 1938 wurde das Innere verwüstet. Sie sei nur deshalb nicht niedergebrannt worden, weil man Schäden an den umliegenden nicht-jüdischen Häusern befürchtet habe. 1947 wurde das Gotteshaus provisorisch instand gesetzt und bis zur Fertigstellung der großen Ohel Jakob Synagoge 2006 genutzt, danach stand sie leer.
Licht und farbige Fenster
Nun wurde die Synagoge auf Betreiben von Rachel Salamander so originalgetreu wie möglich saniert, im minimalistischen Stil mit schlichten Holzbänken, farbigen Wänden und farbigen Bleiglasfenstern, auf denen rituelle Gegenstände und Psalmen zu sehen sind. Vor dem Thoraschrein hängt ein gewebter Stoff der Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl (1897-1983).
Mit der Restaurierung habe man einen Teil des Judentums aus der Zeit vor dem Naziterror bewahrt, sagte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Dieses versteckte Schmuckstück ans Licht zu holen, sei notwendig gewesen.
Heilung statt trauriger Pragmatik
Der Denkmalschutz hatte jedoch nach Angaben Salamanders andere Pläne. Er habe lange auf der Rückführung des provisorischen Zustands von 1947 beharrt. Dabei habe dieser mit der ursprünglichen Ästhetik nichts gemein. «Die 1931 als Erlebnis gerühmte Architektur Meyersteins wich 1947 einer traurigen Pragmatik», so Salamander. Man habe aber keine traurige, minderwertige Notlösung der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder herstellen wollen und deshalb an den Originalplänen von 1931 festgehalten.
Nun gelte es, das vom Münchner Vorkriegsjudentum verbliebene Erbe wieder seiner vollen Würde zuzuführen, betonte Salamander. Es sei hohe Zeit, die
bedrückte und von Traumata beladene Atmosphäre der Nachkriegszeit hinter sich zu lassen und den Menschen von damals mit der Synagoge eine Stimme zurückzugeben. «Das heißt, ein Stück Geschichte zu heilen.»
Finanziert wurde das 14 Millionen Euro teure Vorhaben von der Bundesrepublik, dem Freistaat Bayern und der Stadt München unter Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). 10 Prozent steuerte der Verein bei.
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